Es geht alle an!

Bund und Länder planen eine Reform des SGB VIII. In Wirklichkeit gar eine Reform der SGB V, VII, VIIII, VIII und XII. Und die Jugendhilfeträger und Verbände laufen Sturm. Die TAZ schreibt einen Artikel über das Vorhaben und den Widerstand dagegen.  Ansonsten herrscht Stille in den Medien.

Ich glaube, den wenigsten Menschen ist klar, worum es in dieser Gesetzesvorlage geht. Daher möchte ich mal plakativ versuchen zu erklären, warum das Thema alle angeht.

Wer ist betroffen?

Alle Familien mit Kindern! Heimkinder! Sozialarbeiter! Pädagogen!

Fangen wir mit den Familien und ihren Kindern an.

Das SGB VIII nannte man früher das Kinder und Jugendhilfegesetz. Es regelt (und ich hatte ja gesagt, ich will plakativ beschreiben) was Kinder und Jugendliche alles brauchen, um zu einem selbstständigen Menschen zu werden. Und welche Hilfe die Familien, Kinder und Jugendlichen vom Staat erhalten können, um dieses Ziel zu erreichen.

Bisher konnten Eltern jederzeit um Hilfe rufen. Egal, ob Trennung, Erziehungsschwierigkeiten, psychische Erkrankung eines Elternteiles oder des Kindes, Suchtprobleme der Eltern oder Kinder oder sogar die Vermutung einer Kindeswohlgefährdung durch Menschen innerhalb oder außerhalb der Familie. In all diesen Fällen geht das Jugendamt mit der Familie in ein Gespräch. Das SGB VIII gibt hier nicht nur das Spektrum der Hilfen vor, die die Familie erhalten kann, sondern definiert zusätzlich einen Rechtsanspruch, welche Hilfen der Familie zustehen.

Das neue Gesetz hat hier eine völlig andere Sichtweise. Das Jugendamt hat dafür zu sorgen, dass regional Hilfsangebote vorhanden sind (Beratungsstellen, Familienzentren, Suchtberatung, offenen Ganztagsschulen, …). Das nennt man dann Sozialraumorientierung.

Einfacher ausgedrückt: Hat eine Familie beispielsweise Schwierigkeiten bei der Erziehung des Kindes, wird sie zuerst an ein Familienzentrum beispielsweise einen Kindergartens ihres Wohnbezirk verwiesen. Hier können die Eltern dann beispielsweise einen Gruppenkurs zum Thema “Wie erziehe ich mein Kind” oder “Elternkompetenzen stärken” absolvieren und erhalten Tipps und Tricks von den Fachkräften Beratungsstelle. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, also das Kind massive Symptome im Verhalten oder der Entwicklung zeigt, man spricht hier dann von  körperlich,  geistigen oder seelischen Schäden und kann die Familie ein ärztliches Attest über den Befund vorlegen, darf das Jugendamt über geeignete weitere Hilfen nachdenken. Die Entscheidung, ob Hilfeleistungen in diesem Fall weiterhin aus dem Sozialraum erfolgen kann oder ob hier über eine andere Hilfemaßnahme im Rahmen der Gesetzesgrundlage zum Zuge kommt, liegt jedoch allein im Ermessen des Jugendamtes.

Hinzu kommt die Idee, dass jedes Bundesland und jede Kommune die Art der Hilfeangebote, die das Kind erhalten kann, selbst regeln wird. Also plakativ, jedes Bundesland, jede Kommune hat ein anderes Angebotsspektrum, so dass Eltern auch nicht mehr sicher sein können, dass sie die Hilfe, die in Dortmund erhältlich ist, in Hamburg auch erhältlich ist. Als Familie zieht man also besser in eine reiche Kommune, die sich Jugendhilfe dann auch leisten kann und vor allem leisten will. Ein Rechtsanspruch für die Familien auf bestimmte Hilfen besteht nicht mehr. Die komplette Steuerung der Hilfe, also: Was, Wer und wie lange, bestimmt das Jugendamt als höchste Fachkraft und zwar alleine ohne elterliche Einflussnahme.

Selbst bestehende Hilfskonstrukte werden in diesem Zuge neu in Frage gestellt. Ist die gewährte Hilfe wirklich die richtige und/oder kann die Hilfe durch den Sozialraum kostengünstiger abgedeckt werden, gibt es einen anderen Träger, der ein ähnliches Angebot vielleicht günstiger anbietet. Denn nach allem was der jetzige Arbeitsentwurf der Regierung ausstrahlt geht es hauptsächlich um einen entscheidenden Faktor: Die Kosten werden über die Ausgestaltung der Hilfe der entscheidende sein. So hält die Kostenbremse also massiv Einzug in die Kinder- und Jugendhilfe. Und somit soll also an denjenigen gespart werden, die es doch eigentlich zu fördern gilt. Nämlich bei Kindern und ihren Familien. Bei denjenigen, die entscheidend für unsere Zukunft sind. Diejenigen, die unsere Zukunfsträger darstellen und das fortbestehen unserer Gesellschaft garantieren, sollen der Sparpolitik geopfert werden. Nicht, dass sich dies nicht schon in den letzten 10 Jahren angedeutet hätte, nein, nun soll es aktenkundig und in Gesetze gegossen werden.

Eines ist klar, die jahrelange Arbeit von Jugendämtern, um das Vertrauen der Eltern zu gewinnen und eine positive Elternarbeit zu gestalten, werden ebenso geopfert, wie die Vielfalt an verschiedenartigen und individuellen Familien-, Kinder- und Jugendhilfeangeboten.

Womit wir bei den Sozialarbeitern und Pädagogen angekommen sind.

Es gibt sogar die Idee, Hilfeangebote wie bei Baumaßnahmen über Ausschreibungen zu vergeben. (Wie gut das klappt, zeigt bspw. der Flughafen in Berlin!) Auch hier wird deutlich, wie ein bestehendes System der Marktwirtschaft zum Opfer fallen wird. Es ist sogar denkbar, dass nun auch die Zeitarbeit Einzug in den Sozialarbeitsmarkt erhält. Denn mit dem neuen Gesetzesentwurf wird “just in time” in die Arbeitswelt der Sozialarbeiter/innen Einzug halten. Dann braucht man sich vielleicht auch keine Gedanken mehr zum Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit machen. Wenn dann doch gar nicht mehr so viele Sozialarbeiter/innen gebraucht werden und die sozialräumliche Abdeckung von Hilfeangeboten doch viel günstiger ist. Ok, es wird dann vielleicht mehr Arbeitslose bzw. Arbeitssuchende geben, vor allem Sozialarbeiter/innen aber dass ist ja dann aus einem anderen Finanztopf, fällt hier also nicht ins Gewicht! Außerdem können diese dann wieder über günstige ABM-Stellen finanziert werden, welch ein Glück.

So kriegt man Qualität zum halben Preis und kann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.  Auch freie Träger dürften sich dann, um im Wettbewerb bleiben zu können, Gedanken machen, welche Aus- und Weiterbildung ihren Mitarbeitern zusteht. Die, die sich breit aufgestellt haben und vielleicht jetzt schon von den Jugendämtern oft angefragt werden, dürften – mit der einen oder anderen Einbuße – überleben. Und was ist mit all denjenigen, die sich auf Nischenangebote spezialisiert haben? Werden sie dann ihre Angebote wie faules Obst zum Schleuderpreis anbieten müssen?

Na, ist ja mal gut, dass wir in dieser ganzen Diskussion keine Gedanken mehr zu Qualitätstandards in der Sozialarbeit müssen. Denn die Qualität der Arbeit kann und darf bei dieser ganzen Spardiskussion ja dann keine Rolle mehr spielen. Wichtig ist, dass wir unsere Kinder Menschen anvertrauen, die Ihren Job möglichst günstig anbieten.

Na dann viel Spass!

Bisher ist das Gesetz noch nicht verabschiedet. Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, wird es allerdings in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.

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