Gegen die Verschwurbelung der Traumapädagogik

Es ist schon eigenartig, aber immer wenn es um wirklich schwierige Themen geht, dann gibt es eine Sorte Mensch, die gerade an diesen Problemen anderer Menschen Geld verdienen möchten. Ein typisches Beispiel hierfür sind traumatisierte Kinder. Die Recherche im Internet fördert ohne lange Suche eine Unzahl möglicher einfacher Lösungen zu Tage für ein Phänomen, dessen Lösung völlig kostenlos, aber halt sehr sehr zeitaufwendig ist. 
Nicht nur, dass inzwischen Homöopathische Mittel gegen Trauma existieren 
(http://www.paracelsus-magazin.de/alle-ausgaben/41-heft-032010/211-homoeopathie-in-der-trauma-behandlung.html), da wird Engeln eine Trauma Heilung zugesprochen (http://www.spirits-of-earth.de/seelenanteile.html), werden die neueste Erkenntnisse der Lithotherapie gewürdigt (http://www.fu-qi-sun.com/pdfs/lithotherapie.pdf) und vieles mehr. Gerade in der Arbeit mit traumatisierten Menschen ist es für sehr gefährlich, diesen „unwissenschaftlichen Glaubenssystemen“ Beachtung zu schenken. Die Arbeit mit traumatisierten Menschen ist geprägt von dem Versuch, Menschen ihre Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit aufzuzeigen und zurückzugeben. Die Erfahrungen traumarisierter Menschen zeichnen sich durch Fremdbestimmung und einer komplett durcheinander geratenen Gefühls- und Umwelt aus. Nicht nur, dass das oder die Ereignisse selbst dadurch gekennzeichnet sind, dass ihre Flucht in die Psyche verlegt werden mußte, da sie in der Realität nicht vollziehbar war, nein auch ihre posttraumatischen Symptome dem Opfer deutlich, wie wenig sie Kontrolle über ihr Selbst und ihr Leben zu haben scheinen. 
Und dann postulieren selbsternannte „Therapeuten“, dass Spiritualität das Heil der Patienten sei. Und das, obwohl Spiritualität das Gegenteil von Selbstbestimmung darstellt. Ein traumarisiertes Kind sagte mir einmal: „Einen lieben Gott kann es nicht geben, weil der hat ja auf mich nicht aufgepaßt!“ Und ich möchte hinzufügen: „Auch keine Engel, Einhörner, indianische Götter oder sonstige Wesen, die sich Deiner Seele bemächtigen.“ Nein, es ist das Trauma, dass all das Chaos produziert, hervorgerufen durch eine Umwelt, die nicht mehr ertragbar war oder ist. 
Die moderne Traumatherapie – selbst oder gerade bei Kindern – sieht einen wesentlichen Bereich der Heilung in der Psychoedukation. Darin, durch die Erklärung der neurologischen Phänomene den Betroffenen aufzeigen, dass ihr eigenes Gehirn es ist, dass sie in bestimmte Reaktionen zwingt. Aber auch, dass sie es sind, die diese Reaktionen überwinden können. Die Erkenntnis, dass es eine natürliche Reaktion des Körpers ist, die zugleich Schutz und Ursache für die eigenen Probleme darstellt ist es, die den Kindern hilft, sich weiter zu entwickeln.
Aber genauso negativ zeigen sich „Heilkünste“, die den Kindern helfen sollen. Zum einen sind die Einsätze der Heiler nicht ohne erhebliche finanzielle Aufwendungen zu erlangen. Des Weiteren lenken Heilkünste alle Betroffenen auf eine völlig falsche Fährte. Hier geht es nicht um eine Krankheit, genannt Trauma, die bei der Einnahme irgendeines Mittels verschwindet. Das was helfen würde, ist es Beziehungen zu schaffen und mit der Geduld einer Wassermühle immer wieder aufzeigen, dass es auch eine Welt gibt, die nicht von Schrecken und Unsicherheit geprägt ist, sondern von Sicherheit, Vorhersagbarkeit und Schutz. Die Betroffenen sind nicht krank, auch wenn sie einer Therapie bedürfen. Es kann passieren, dass das Erlebte die Menschen so sehr erschüttert, dass sie Psychopharmaka benötigen, um ihre Ängste unter Kontrolle zu bekommen, um überhaupt die ersten Schritt in ihre Umgebung zu wagen. Es kann sein, dass es zu körperlichen Symptomen kommt, die genauso ernst zu nehmen sind, wie ihre seelischen Symptome, auch hier kann zur Linderung Medizin helfen. Aber das Trauma können nur die Menschen selbst überwinden und irgendwelche Zaubermittel helfen hierbei nicht nur nicht, sondern lenken die Hoffnung in eine Richtung aus der keine Rettung zu erwarten ist.  
Den Blick von den Kindern auf die Einnahme eines Medikamentes, einen Engel oder eine sonstige Handlung zu lenken nimmt den betroffenen Familiensystemen die Chance, die Bedeutungsebene hinter den von den Kindern gezeigten Verhaltensweisen zu erkennen. Aber gerade die Einnahme dieser „Metaebene“ erlaubt es den Systemen, das eigene Handeln an die Bedürfnisse der Kinder an zu passen. 
Es wäre auch interessant zu untersuchen, welche Auswirkungen auf das eigene Körpergefühl die Einnahme von Schein-Medikamenten zur Linderung von Symptomen hat. Es mag aufgrund von mangelnder Wirkmächtigkeit von Homöopathie, Bachblüten und anderer Mittel keine Spätfolgen auf körperlicher Ebene geben, aber wie reagiert zum Beispiel ein selektiv mutistisches Kind darauf, dass es immer, wenn der Mutismus auftritt ein Medikament verabreicht bekommt. Ist die Feststellung der Gefahr einer Gewöhnung an medikamentöse Behandlung wirklich abwegig?
Die Leiden der Betroffenen sind häufig zu quälend, um den Beginn der echten Hilfe heraus zu zögern. Noch schlimmer wirken sich die vielen esoterischen Heilsversprechen innenwohnende Selbstprophezeiung aus. Dir geht es nicht besser? Dann hast Du nicht genug geglaubt, getrommelt, noch viele weitere ungelöste Probleme, oder, oder, oder. Im Endeffekt bleibt der Betroffene auf seinem Problem sitzen, nur diesmal wurde er geschickt aus der Rolle des Opfers in die Rolle des Täters gedrängt. Gerade bei psychisch angeschlagenen ein folgenschweres Phänomen.
Mit all dem sind nicht die kleinen Hilfsmittel gemeint, die jeder einfühlsame Pädagoge nutzt, um Kindern ein kleines Stückchen Sicherheit zu geben. Auch bei uns gibt es Traumfänger. Ja, sie werden sogar weggeworfen, wenn sie voll sind und nicht mehr wirken. Aber wenn die größeren Kinder beginnen zu verstehen, dass Feenstaub und Anti-Angst-Spray halt doch nur Sand und Parfüm sind, beginnt der eigentliche Spass, der Prozess der Erkenntnis, dass sie es selbst waren, die den Staub oder das Spray wirksam gemacht haben. Mit ihrem eigenen – unheimlich mächtigen Ding, genannt Gehirn. Sie selbst! Nicht irgendeine nicht durchschaubare Macht. Ihnen zu erklären, dass sie selbst diese Angst hervorrufen, dass es aber nicht ihre Schuld ist, dass es so ist, sondern jeder Mensch genauso funktioniert wie sie, ist der eigentliche große Schritt. Nicht das Spray, dass hilft in den Flur zu gehen, obwohl er aufgrund der Dunkelheit so schrecklich wirkt.
Ein weiteres Risiko birgt die nicht vorhandene traumasensible Ausbildung der „Heiler“. Allein die Vorstellung, dass ein Mensch, ohne Traumasensibilität sich mit „ganzheitlichen Untersuchungsmethoden“ über Familienaufstellungen, Befragungen, Tarotkarten, Hypnose oder ähnlichen Methoden, den traumatischen Ereignissen eines Kindes nähert, läßt Experten erschauern. Eine Retraumatisierung ist nicht nur möglich, sie ist eher zu erwarten.
Die Problematik erscheint aber aktuell noch schwerer zu werden. Fast alle Begriffe des Bereiches Trauma und Traumpädagogik werden durch unwissenschaftliche „Heiler“ missbraucht. Da werden Traumta gesehen, welche durch die Einnahme von MMS (Chlorbleiche) durch den Körper endlich bearbeitet werden können (https://faszinationmensch.com/2013/11/09/mms1/). Oder es zeigen sich Traumata durch die Betrachtung von Chakren (http://www.chakren.net/bedeutung/emotionaler-koerper/)
 Begriffe, wie Achtsamkeit, Trauma, … werden längst von esoterischen Trittbrettfahrern missbraucht für die Erklärung der eigenen Heilslehre oder als Grundlage der Heilsversprechen angesehen.
Ich wünschte manchmal, die Traumpädagogik würde sich von den bisher definierten Begriffen abwenden und neue erschaffen, um sich nicht mehr als Transporter für all diese Trittbrettfahrer ausnutzen zu lassen. Zumindest jedoch denke ich, sie muß sich klar distanzieren, wenn sie ernst genommen werden will im Kanon der wissenschaftlichen Pädagogik.