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Dissoziation

Was bedeutet dissoziieren oder eine Dissoziation? Dies ist der erste Text in einer Reihe zu diesem Thema, denn Dissoziation ist ein weiter Bereich.

Was ist eine Dissoziation?
Dissoziation ist vor allem die Loslösung von Wahrnehmung oder Empfindung des Körpers.
Also eine Trennung zwischen dem Bewusstsein und dem Körper. Es handelt sich hierbei um ein Kontinuum, also es gibt Dissoziation von schwach bis stark.
Das das, das Bewusstsein in einer Dissoziation wahrnimmt, hat nichts mit der realen Umgebung zu tun hat.

Es gibt verschiedenste Theorien dafür, wie Dissoziationen entstehen.
So gut wie allen Theorien, ist gemein, dass es ein Zusammenspiel hat von traumatischen Erlebnissen, besonders komplextraumatischen Erlebnissen ist und einem erblichen Anteil.
Allgemein geht man davon aus, dass eine Dissoziation Teil des normalen Notfallplans ist.
Also derjenige, der ein extremes Ereignis erlebt, bei dem sorgen Neurobiologie und Hormone dafür, dass er sich von den Körperempfindungen ein Stück weit loslöst.
Schmerz, den man in dieser Situation empfindet, wird erst später wahrgenommen. Schmerzen, Angst oder andere Empfindungen kommen beim Betroffenen nicht an.

Weiterhin gehen viele Theorien davon aus, dass gerade bei komplexen Traumatisierungen dieses Empfinden so häufig ist, dass es sich loslöst von dem traumatischen Ereignis, dass es überspringt auf andere Ereignisse oder Wahrnehmung. Im Prinzip ist es eine Verselbstständigung des Notfallsystems.
Ein Beispiel wäre, ein Kind, dass in der Dissoziation nicht mehr sprechen kann. Häufig wird das Sprechen erst immer langsamer, über sehr rudimentärer Sprache, bis hin zu gar nicht mehr sprechen können. Hinzu kann es im selben Fall sogar zum Einfrieren des gesamten Körpers kommen, zu der Unfähigkeit, sich zu bewegen. Ein Beispiel für eine tiefe Dissoziation.
Oft zu beobachten ist, dass so etwas wie Schmerz abgeschaltet wird, also dass diese Kinder körperliche Schmerzen, auch Schmerzen durch Kälte, durch extreme Hitze oder auch Verletzungen, bzw Selbstverletzung nicht wahrnehmen.
Ein anderes Beispiel ist, dass ein Kind plötzlich wegläuft und einfach losrennt. Oder auch extremes Kampfverhalten. Also plötzlich auftretendes aggressives Verhalten.
Allen Beispielen ist im nachhinein gemein, dass eine Loslösung von Zeit, Ort oder Raum stattfindet.
Häufig ist kein Zeitempfinden vorhanden, das heißt, der Betroffene weiß nicht, was für ein Tag ist oder wie spät es ist oder wie viel Zeit vergangen ist, seitdem es zur Dissoziation gekommen ist. Auch hier existiert eine große Varianz an Wahrnehmung, aber es ist immer eine Desorientierung vorhanden.

Und all dem gemein ist, die Betroffenen nehmen dieses Verhalten wahr, als ich werde gehandelt.
Die Ansprache während einer Dissoziation wird vom Betroffenen meist nicht wahrgenommen. Betroffene beschreiben es oft, als würden sie alles nur noch wie unter Wasser wahrnehmen oder von ganz weit weg. Als ob sie in einer Eisbubble sind, eingefroren und teilweise nicht verstehen können, welche Worte zu ihnen sagt werden.
Pädagogisch ist genau diese Empfinden enorm wichtig. Weil man das Kind in dem Moment nicht für das, was es tut, verantwortlich machen kann.
Im Gegenteil, die Kinder fühlen sich häufig schuldig und schlecht, weil sie wahrnehmen, das ist ein Teil von mir, der es gemacht hat, aber ich konnte es nicht steuern.
Pädagogische Konsequenzen
Die einzigen pädagogischen Mittel, die man da hat, sind alle langfristige Mittel. Das eine ist die DIS-Unterbrechung. Es wird einen eigenen Text zu dieser Möglichkeit geben.
DIS-Unterbrechung ist etwas, was langfristig eingeübt werden muss.

Die zweite Möglichkeit ist, über das, was dort passiert ist, vorurteilsfrei zu sprechen.
Also ohne Beschämung, ohne Verurteilung. Es geht darum, wie hat das Kind oder der Betroffene dieses Situation erlebt?
In vielen Fällen kann man so etwas, wie eine Absprungmöglichkeit erarbeiten.
Also gemeinsam den Punkt finden, an dem die Dissoziation noch verhindert werden könnte. Auch hier ist häufig eine Einflussnahme von außen oft nötig,
Wie lange kann eine Diss dauern?
Von ein paar Minuten nur oder Sekunden nur bis hin zu Stunden oder Tagen sogar oder Monate.
Wichtig ist für mich als Pädagoge, dass eine Dissoziation immer belastend ist.
Und zwar deshalb, weil ich gehandelt werde und nicht selber handele.
Und Gehandeltwerden ist immer eine Belastung.
Also, wenn eine Traumadiagnose besteht, kann ich davon ausgehen, wenn es beispielsweise zu aggressiven Reaktionen kommtt und ich danach feststelle, dass der Betroffene zeitlich, örtlich oder räumlich nicht wirklich orientiert ist, dass diese Handlung in der Dissoziation stattgefunden hat.
Dissoziationen sind bildgebend im Computertomographen nachweisbar, also es ist nicht ein Wegträumen oder ähnliches, sondern es sind organische, neurobiologische Reaktionen.

Ausblick: Wichtige sehr eng verbundene Themen sind Dissoziative Identitätsstörung und Dissunterbrechung

Die Audioversion gibt es hier

Dissoziation (verschiedene Formen)

Klassifizierung nach ICD 10.
Um die wirklich vielen Formen der Dissoziation aufzuzeigen hier ein Blick in die verschiedenen Formen, die im ICD 10 aufgeschlüsselt werden

Was ist ein Dissoziativer Stupor. (ICD 10 F44.2)

Beim dissoziativen Stupor geht es eigentlich darum, dass der Mensch extrem einfriert und auf äußere Signale nicht mehr reagiert.
Also beispielsweise auf Veränderung des Lichteinfalls, auf Berührungen oder sogar Kneifen. Es existiert sehr wenig, bis keine Reaktion, auch wenn man versucht diese durch Ansprache oder Berührung sie zu provozieren.
Die dissoziative Bewegungsstörung (ICD 10 F44.4)
Diese geht bis hin zur Bewegungunsfähigkeit. Es eigentlich darum, dass der Bewegungsapparat insgesamt nicht mehr voll einsatzfähig ist.
Auch Unfähigkeiten zu sprechen sind hier mit eingeschlossen. Unser Beispiel dazu ist hier, das Kind, das nach und nach einfriert. Die Bewegungen werden immer langsamer, bis hin zur Bewegungslosigkeit. Dieses wirkt sich auch auf die Sprache aus, sie wird immer rudimentärer von Zweiwortsätze bis hin zu gar nicht mehr sprechen, nicht mehr reagieren können.
Die dissoziativen Sensibilitäts- oder Empfindungsstörungen. (ICD 10 F44.6)
Kinder, die keine oder kaum Empfindungen für Kältereize, Wärmereize haben, aber auch Empfindungen wie Angst oder Furcht sind betroffen. Es gibt Kinder, die sich dann verbrühen, ohne eine reaktion zu zeigen.
Die Kinder können auch Einschränkungen im Bereich Gefahreneinschätzungen zeigen. Sie zeigen dann keine Ängste im Bereich Höhenangst oder im Strassenverkehr.
Dissoziativen Krampfanfälle (ICD 10 F44.5)
Dissoziative Krampfanfälle werden durch Stressoren ausgelöst und treten unter Stresssituationen häufiger auf
Es gibt alle Formen von Krampfanfällen, also ob jetzt neglect Krämpfe, oder tonisch klonische Anfälle, bei denen es zu Krämpfen im gesamten Körper mit oft folgender Bewusstlosigkeit führt oder auch Ascencen.
Es gibt unterschiedliche Aussagen, ob diese Krämpfe im EEG zu sehen sind.
Aber klar muss man sagen, dass auch unter Medizinern die Unterscheidung zwischen dissoziativem Krampfanfall und Epilepsie als ein Problem angesehen wird.
Der Unterschied liegt darin zu erkennen, dass eine Epilepsie nicht von Stressoren abhängig ist. Dieser Bereich ist für die Kinder- und Jugendhilfe sehr wichtig, denn aus Unkenntnis dieser Dissoziationsform werden Beobachtungen in diesem Bereich häufig unter Epilepsie eingeordnet.
Die dissoziative Fugue (ICD F44.1)

Als Fugue bezeichnet man im Endeffekt eine Flucht. Der/Die Betroffene macht sich einfach auf den Weg und weiß aber eigentlich gar nicht mehr, wie er/sie da hingekommen, wo er/sie gerade ist.
In der Kinder- und Jugendhilfe trifft man solche Fälle auch bei Müttern an, die eine dissoziative Fugue haben. Sie verlassen ihre Kinder von jetzt auf gleich und dann wachen irgendwo auf und wissen gar nicht mehr, wie sie da hingekommen sind und haben teilweise auch den Zusammenhang zu ihren Kindern nicht mehr.
Und dann plötzlich nach einem Jahr tauchen sie wieder auf, weil sie aus diesem Ereignis wieder aufgewacht sind.
Ähnliche Fälle sind auch in vielen Abstufungen bei Kindern zu beobachten.
Die dissoziative Amnesie. (ICD 10 F44.0)
Die dissoziative Amnesie an sich ist ja das Vergessen, den Zusammenhang nicht mehr herstellen können.
Also es fehlen ganze Teile der Erinnerung. Eine Dissoziative Amnesie ist abzugrenzen von Vergesslichkeit oder „Schusseligkeit“ wegen Überanstrengung. Es fehlen Teile der aktuellen Erinnerung. Auch das nicht Erinnern die Zeit in der die traumatischen Ereignisse stattgefunden haben ist Teil der dissoziativen Amnesie.

Trance und Besessenheitszustände (ICD 10 F 44.3)
Aus unserer Sicht eine schlechte Benennung. Die Diagnostiken beschreiben aber ja im Endeffekt den Zustand des Betroffenen.
Beispiel: Ein Jugendlicher, der durch etwas angetriggert wird und nur noch um sich schlägt, dem leider häufig Absicht unterstellt wird, beschreibt das Erlebnis wie in einem Blutrausch. „Ich sehe dann alles rot. Spüre und fühle nichts mehr, sondern fühle mich wie ein Roboter.“ Ein klassisches Beispiel.
Pseudodebilität (ICD 10 F44.80)
Auch wenn wir d den Zusammenhang von Pseudobibilität und Trauma anders sehen, das nicht Antworten auf Fragen, das Fehlen von adäquaten Antworten ist auf jeden Fall ein Anzeichen von Dissoziation.
Dissoziative Identitätsstörung (ICD 10 F 44.81)
Ist ein zukünftiges, eigenes Kapitel.

Allgemein:
Oft wird Dissoziation mit einem Wegträumen gleichgesetzt. Der Jugendliche sitzt am Fenster und starrt aus dem Fenster ohne Reaktion ist nur eine Form der Dissoziation.
Es gibt viele verschiedene Dissoziative Formen, allen gemein ist eine Desorientierung und eine Desrealisierung.

Auch Mediziner können eine Dissoziation nicht erkennen ohne eingehend mit den Patienten zu reden. Und hier es geht ganz viel darum, wie empfinde ich das, was passiert? Werde ich gehandelt? Habe ich danach eine Erinnerung an das, was passiert ist? Wie nehme ich es wahr?
Deswegen ist es wichtig, dass wenn wir als Pädagogen Hinweise darauf haben, wenn ein Kind nach einem scheinbaren, ausagierenden Wutanfall erzählt, „ich habe das Gefühl, das war ich gar nicht.“ Oder sogar abschreitet, dass es das gewesen ist. Oder sich in irgendeiner Art und Weise in Richtung Dissoziation ausdrückt.
Es ist wichtig, dass wir das wahrnehmen und auch weitergeben.
Oft sind wir so in unseren pädagogischen Diagnosen verhaftet. Der agiert sich mal wieder aus, der hat eine Impulskontrollstörung.
Das kann sein, dass es das ist, aber das kann genauso gut auch sein, dass es Verhalten im Zuge von Trauma und dissoziativen Prozessen ist.
Nicht nur, dass wir in unserer Diagnose gefangen sind, sondern auch, dass wir unsere Beobachtung wertschätzen müssen.
Wenn ein Kind, welches Vertrauen zu uns gefasst hat, uns erzählt, das fühlt sich so und so an, ist es eine wichtige Information, die weitergegeben werden muss.
Nichtsdestotrotz müssen wir auch immer davon ausgehen, dass es andere Ursachen geben kann und dass die auch parallel gegengecheckt werden müssen.
Wichtig gerade in der Jugendhilfe, wenn ich Dinge beobachte, wie die, die hier beschrieben sind, muss die Überlegung auch Richtung Trauma gehen und nicht nur in Richtung Epilepsie. Epilepsie.
Sie muss auch in Richtung Pseudodebilität aus dissoziativen Gründen gehen und nicht nur auf Intelligenzminderung.
Wir müssen auch dieses im Blick haben und gilt auch für viele andere Bereiche, wie zum Beispiel Hyperarousel.
Wenn wir ein Kind unterstützen wollen, bedarf es auch die Anerkennung von pädagogischen Blickwinkeln.
Und wir als Pädagogen haben eine wichtige Meinung dazu, weil wir sind jeden Tag mit den Kindern zusammen und es darf nicht nur von außen vorgegeben werden, wie wir mit den Kindern zu arbeiten haben und was wir zu denken haben.

Die Audiovision ist hier

Dissoziation unterbrechen

Kinder in das Zentrum
Unterbrechung Dissoziation

Dissoziationsstopps im Kontakt
Unterbrechen von situationsbedingten Dissoziationen zur Erhöhung der Eigenkontrollerfahrung (Musterunterbrechung) und Herstellung eines Arbeitskontaktes
Mittel:
• Blickkontakt und Hand anfassen: „Sie geben mir jetzt die Hand!’ (nach Perren-Klingler) Atmen! • Gezieltes Ansprechen der erwachsenen Person
• Die Klientin in die Bewegung gehen lasen, eine andere Haltung als zuvor einnehmen lassen
• Kognitive und haptische Reorientierung (wir sind hier.., fühlen Sie mal die Lehnen, die Wand, den Boden unter
ihren Füßen…)
• Körperkontakt herstellen, wenn das vorher besprochen wurde
• Zuvor etablierte Anker im Raum aufrufen
• Musterunterbrechungen jeder Art: Fenster auf, aufstehen, Musik anmachen, gemeinsam Kaffee holen gehen.
• Im Kontext absurde Aufgaben stellen, wie z.B. Rätsel, Rechenaufgaben, die Frage nach einem tagespolitischen Ereignis
• Film-Stop (Notfall-Screen-Technik) ; muß vorab etabliert werden • Tresortechnik
• Arm-Schulter-Ziehtechnik (Michaela Huber)
• Mit gebeugten Knien an der Wand stehen
Vorgehen:
• Im Notfall direktives Einführen der Technik, je nach Zustand. Pacing ist oft ein guter Einstieg, manchmal auch
Setzen eines andersartigen Reizes notwendig
• Alle Themen, Aufgaben etc. sollen angenehme, unverfängliche Inhalte haben
• Es geht um eine Umorientierung, also: Musterunterbrechung!
• Vorher soweit wie möglich Absprachen treffen: „Wenn Sie in einen der Zustände rutschen, von denen Sie gerade gesprochen haben, aber auch, wenn ich fürchte, dass das passiert und wir dann keinen Arbeitskontakt mehr haben könnten, werde ich.., würde ich gerne…, darf ich dann…

Dissoziationsstops zum Mitgeben/Lernen
Ziel:
Unterbrechen von situationsbedinaten Dissoziationen durch Anwendung starker, aber neutraler Reize (Musterunterbrechng); Selbstverletzungen vermeiden außerhalb der Therapie/Beratung
Merke:
Selbstverletzungen haben meist den Zweck der Reorientierung, sich wieder zu spüren“ (mit der Klientin individuellen Nutzen herausarbeiten); bei Sensibilisierung für die Übergänge (die meist nicht wahrgenommen werden) alternativen starken Reiz zur Reorientierung einführen.
Material (Trigger ausschließen!):
• scharfe/beißende Gerüche (Essig, Ammoniak, Kampfer, Meerrettich…)
• scharfe/saure/bittere Geschmacksvarianten (Pfeffer, Chili, Senf, Zitronen- /Ascorbinsäure…)
• kalt/heiß/harte taktile Erfahrungen (Igelball, Schießgummi, kaltes Wasser, kleiner Stein mit harter Kante, Eis,
Bürstenmassage…)
• laute, schrille, dissonante Klänge (gezielt eingesetzt)
• Bilder
• Kognitionen (aufgeschrieben, aufgehängt, eingesteckt)
• Atemübungen 5-4-3-2-1
• Positivlisten
Vorgehen:
• gemeinsam erarbeiten, was der Klientin in Ausnahmesituationen schon geholfen hat

• auf welchem Kanal sie besonders sensibel reagiert
• was sie überhaupt nicht ertragen kann
• wie viel Körperkontakt, Lautstärke etc. erlaubt ist
• ausprobieren und beurteilen lassen!

5-4-3-2-1 (nach Yvonne Dolan)
Ausweg aus , ewigem Drehen im Kopf”, beginnender Panik – im Hier und Jetzt ankommen und ruhig werden, im Liegen zum Einschlafen

Was es braucht:
• Ziemlich voraussetzungsfreie Übung, ein paar Minuten Zeit wären gut, auch die Möglichkeit, nicht reden
• Für den Anfang eine Viertelstunde ruhiges Hinsetzen, Rückzug nicht nötig Vorgehen:
• Lassen Sie Ihre Augen in eine Richtung schauen, lassen Sie sie auf einem Punkt ausruhen, der ein wenig
oberhalb Ihrer Blickhöhe liegt
• Nehmen Sie Ihren Atem wahr und lassen Sie ihn den Rhythmus bestimmen
• Benennen Sie (leise für sich) 5 Dinge oder Eindrücke, die Sie gerade sehen; achten Sie dabei darauf, wie weit
Ihr Blickfeld ist, auch wenn sie die Augen entspannt nach vorne schauen lassen. Lassen Sie sich Zeit: z.B. Ich
sehe ein Blatt, das sich bewegt… ich sehe die Zeiger einer Uhr… ich sehe meine Nase…
• Benennen Sie dann 5 Geräusche oder akustische Eindrücke, die sie gerade hören: Ich höre das Surren der
Heizung… ich höre ein Auto im Hintergrund… ich höre ein Rascheln im Raum… ich höre meinen Herzschlag…..
• Benennen Sie nun 5 Körperempfindungen (nicht Gefühle!), die sie gerade spüren: z.B. ich spüre meinen Po auf
dem Stuhl… meinen rechten Fuß auf dem Boden… ich spüre ein Kribbeln an der Nase… ich spüre ein Loch in
meinem Magen…
• Nun machen Sie dasselbe 4 mal
• Dann 3 mal
• Dann 2 mal
• Dann 1 mal
• (und wenn Sie möchten können Sie noch einmal von vorne anfangen)
Was Sie noch wissen sollten:
• Es ist ganz okay, wenn Sie sich mal verzählen; halten Sie sich aber zunächst an die Reihenfolge • Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie mal die Reihenfolge verwechseln
• Wenn Sie etwas zwischen drin stört, benennen Sie es einfach!
• Sie können gerne mehrfach dasselbe nennen, wenn das bestimmend ist
• All das ist nur ein Zeichen dafür, dass Sie sich entspannen! Mit anderen Worten das Hier und Jetzt“ Umkehr der Übung als 1-2-3-4-5-Übung:
• Zur Krisenintervention oder bei Flashbacks finden manche Klienten die umgekehrte Reihenfolge leichter • anzuwenden, um mit der Wahrnehmung nach außen zu kommen.
Kinder in das Zentrum Seite 3

Dunkelziffer

Das statistische Bundesamt zählte im Jahr 2023 einen Anstieg von Kindeswohlgefährdungen durch die Jugendämter in ihren Statistiken. Hierzu soll gesagt werden, dass alle Jugendämter dazu angehalten sind, Statistiken zu ihren Kindeswohlgefährdungen zu registrieren und diese zum Jahresende an das Statistische Bundesamt zu melden.

lt. eines Berichtes der ARD, die sich auf die Datenlage des statistischen Bundesamtes beruft, lag die Anzahl der Kindeswohlgefährdungen in 2023 auf dem Höchststand. (vgl. ARD 02.08.2023 um 10:20, statistisches Bundesamt).

Die statistischen Daten bezieht sich auf Vernachlässigung, sexuelle, psychische und/oder körperliche Gewalt. Hiernach registrierten die Jugendämter 62.000 Fälle von Kindeswohlgefährdungen. Weiterhin bleibt eine nicht kalkulierbare Dunkelziffer, die erst gar nicht zur Meldung führen oder wo die Fachkräfte keine oder eine latente Kindeswohlgefährdung einschätzen.
Sprechen Fachkräfte von einer Kindeswohlgefährdung, ist immer eine Gewalteinwirkung gemeint, die auf psysischer/emotionaler, körperlicher oder sexueller Gewalt besteht. Zu emotionaler bzw. psychischer Gewalt durch Bezugspersonen (Eltern, Verwandte, Stiefeltern, Alleinerziehende Mütter oder Väter,…) zählt auch die Vernachlässigung. der Begriff Vernachlässigung umfasst die Unterversorgung durch Nahrung, Kleidung, emotionaler Wärme und Zuwendung, Förderung durch die Bezugspersonen, bei denen sich das Kind/die Kinder aufhalten.

Auffallend bei den gemeldeten Daten ist, dass das Alter bei 4 von 5 Kindern deutlich unter dem 14. Lebensjahr lag. (vgl. Daten des Statistisches Bundesamt Wiesbaden). Hierbei war jedes 2. Kind jünger als 8 Jahre. In der Gesamtstatistik zeigte sich, dass Jungen bis zum 11. Lebensjahr deutlich öfter von Gewalt betroffen waren. Dies ändert sich jedoch mit dem Eintritt der Pubertät bei Mädchen. Ab dem 12. Lebensjahr wechselt sich die Datenlage, hier sind dann deutlich mehr Mädchen von Gewalt betroffen.

Also beinhaltet die Dunkelziffer alle Fälle, in denen es zu keiner Meldung an das Jugendamt kommt, weil die Kinder zu klein sind, um sich selbst zu melden oder um zu erkennen, dass das was sie erleben falsch ist. Oder weil Aussenstehende die Problematik nicht in ihrer Gänze sehen und daher keine Meldung machen. Und zu einem nicht unbedeutenden Teil Fälle, die von Fachkräften nicht als gefährdend eingeschätzt werden, obwohl sie kindeswohlgefährdend sind .

Herausforderndes Verhalten

Kinder nach Gewalterfahrungen zeigen oft unterschiedlichste Verhaltensweisen, die von Pädagogen und Sozialarbeitern häufig unter dem Sammelbegriff herausfordernde Verhaltensweisen oder Verhaltensauffälligkeiten zusammengefasst werden. Viele dieses Auffälligkeiten lassen sich unter Zurhilfenahme des “Guten Grundes” als Konsequenzen ihrer Gewalterfahrungen verstehen.
Grundsätzlich betrachtet, versuchen Betroffene vor allem eines: Einen Zustand der Sicherheit herstellen.
Jedoch nicht Sicherheit aus unserem Blickwinkel, sondern aus ihrem, von Gewalt geprägtem Blick.
– Das führt zu Verhalten, welches versucht die Erfahrungen der Vergangenheit zu vermeiden, koste es was es wolle
oder
– Verhalten, das versucht unsichere Situationen zu kontrollieren
– Verhalten, das versucht, für Eigenschutz zu sorgen.

Weitere Verhaltensweisen, die die Pädagogen herausfordern können, entstehen aus dem Zusammenspiel Trigger und Dissoziation. Ein Kind, das von einem Trigger überrascht wurde, befindet sich sowohl von seiner mentalen, als auch von seiner körperlichen Ebene in der vergangenen Erfahrung. Nicht das Kind, das vor 2 min anwesend war, handelt. Betroffene schildern die folgenden Erlebnisse oft, als ob sie gehandelt werden oder als ob sie das Geschehen aus Entfernung beobachten. Ihr Notfallsystem inklusiv aller hormonellen Zusammenhänge reagiert nicht auf das hier und jetzt, sondern auf die vergangene, lebensbedrohende Situation. Für Außenstehende ist der Übergang von einem Zustand in den anderen oft nicht zu erkennen.

All diese Verhaltensweisen lassen sich verstehen, wenn genügend Wissen vorhanden ist.

Pädagogik des Guten Grundes

Die Pädagogik des guten Grundes

Dazu ein Beispiel aus unserem pädagogischen Alltag. Eines der Kinder wollte sich nicht die Zähne putzen. Aufforderungen, Beharrlichkeit und Streit brachten keine Besserung. Es dauerte lange, diese notwendige Tätigkeit in den Alltag des Kindes zu integrieren. Geholfen hat die gemeinsame Suche nach der Ursache dieser Weigerung und sie ist so erschütternd, wie real. Die Ursache war ein sexueller oraler Missbrauch, dessen Trigger durch das Zähneputzen ausgelöst wurde. Die gemeinsame Suche und das Verständnis für die Situation war aber auch gleichzeitig der einzig mögliche Weg, das Problem aus der Welt zu schaffen. Wir konnten Alternativen suchen, gemeinsam Wege planen, gemeinsam üben und so wurde aus einem großen ein kleineres und Stück für Stück ein sehr kleines Problem. Heute putzt sich das Kind die Zähne.

Es sind aber nicht nur so drastische Beispiele, wie das geschilderte, die uns zeigen, dass der gute Grund unser wichtigstes pädagogisches Mittel sein sollte. Kinder haben immer einen Grund für ihr Verhalten. Sehr oft kommunizieren sie über ihr Verhalten mit uns und wir sind es, die in der Lage sein müssen, ihre Signale zu verstehen. Wir, die wir beide Sprachen beherrschen, müssen uns auf die Suche begeben, was die Ursache für Wut, Aggression oder Traurigkeit ist, um sie gemeinsam mit den Kindern zu besiegen.

Heftige Emotionen sind immer ein Signal an uns, dass irgendetwas nicht stimmt. Oft wissen die Kinder zu diesem Zeitpunkt selbst nicht einmal, was die Ursache sein könnte. Aber sie können gemeinsam mit uns Erwachsenen auf die Suche nach diesen Ursachen gehen.

Ein weit verbreitetes Streitthema scheint das nicht aufräumen wollen des Kindes und hierdurch ausgelöste Wutanfälle zu sein. Allein durch den Perspektivwechsel mit Hilfe des guten Grundes, ist es möglich, mit dem Kind auf Augenhöhe zu kommunizieren. „Ich kann verstehen, dass Du nicht aufräumen willst, aber wie können wir gemeinsam einen Weg gestalten, dass diese „Pflicht“

erledigt wird.“ Ist eine viel angenehmere und erfolgsversprechendere Ansprache, als Machtansprüche, Kampf gegen die Wut und angedrohte Konsequenzen. Und vor allem hilft diese Ansprache, die negative Emotion zu unterbrechen, ohne das Kind oder seine Reaktion abzuwerten.

Hiebei geht es nicht darum, die gestellte Regel in Frage zu stellen. Das Zimmer muß aufgeräumt werden. Aber der Weg hin zum Ziel ist ein Prozess, in dem bspw. die Wut des Kindes lediglich einen geäusserten Widerstand darstellt. Welchen Ursprung hat dieser Widerstand? Oft handelt es sich um recht banale Gründe, wie empfundene Zeit, das Ergebnis des Spielens erhalten wollen oder in der Spielsituation bleiben zu wollen, aber die Gründe können auch viel tiefergehend sein. Wenn das Kind meint, immer wenn es aufgeräumt hat, gibt es (oder gab es früher) Streit. Wenn ich aufgeräumt habe, erwartet mich etwas Schlimmes. Der eigene Zweifel an der Fertigkeit. Die Annahme, den Anforderungen niemals gerecht zu werden. Mein äußeres Chaos stellt meinen inneren Zustand dar. Meine Wahrnehmungen von Zeit, Ordnung und meiner Umwelt ist nicht Deine, für mich ist es ordentlich. Emotionen, wie Traurigkeit oder Enttäuschung, sind der Wut sehr nahe. Die geäußerte Wut ist also vielleicht eigentlich nur Trauer. Spiegele ich dem Kind beispielsweise seine Emotion der Traurigkeit, lernt es diese zu unterscheiden und zu benennen.

Auch hier ein Beispiel aus unserem pädagogischen Alltag. Eines unserer Kinder ist gut in der Lage und mag es, das Zimmer aufzuräumen. Es mag in einem Zimmer sein, das ordentlich, sauber und sortiert ist. Aber diese Aufgabe wird nie vollständig beendet. Ein gefüllter Müllbeutel steht in einer Ecke oder der Schreibtisch befindet sich noch im Chaos. Und doch, erledigt das Kind diese Aufgabe gewissenhaft und freiwillig. Haben wir das Recht, die vollständige Vollendung zu fordern? Oder hat das Kind das Recht das Signal zu senden: Aber ganz fertig bin ich noch nicht.

Hierfür gibt es Gründe, gute Gründe. Wir werden vielleicht irgendwann diesen Grund gemeinsam finden. Bis dahin wenden wir unseren Blick auf das, was das Kind selbstständig und gut geschafft hat. Denn tun wir dies nicht, befinden wir uns in einem ständigen Konflikt mit dem Kind und werten die erreichten Ziele und damit letztendlich den Selbstwert des Kindes ab.

Akzeptieren wir allerdings, dass der Weg noch nicht vollendet ist, stärken wir die Selbstwirksamkeit des Kindes, machen den Weg zu seinem Weg.

Jeder kennt im pädagogischen Alltag Aussagen, wie „Der ist ja immer so böse, aggressiv, wütend!“, „Es ist egal, was wir machen, er/sie wehrt sich!“ aber auch „Ja, ein ganz ruhige, trauriges Mädchen!“. Es sind diese Aussagen, die uns Pädagogen aktivieren sollten. Was will das Kind uns mitteilen? Warum ist es wütend oder traurig? Wie können wir ihm helfen, eine andere Erfahrung zu machen.

Diese Wut und Traurigkeit zu akzeptieren heißt, aus der geäußerten Emotion, der gesendeten Botschaft eine Charaktereigenschaft zu machen. Das Kind in dieser Emotion einzuzementieren.

Das Herausfinden und ernst nehmen der Gründe für einen emotional geäusserten Widerstand, nimmt das Kind als Persönlichkeit wahr, bietet Beziehung an und ermöglicht einen Veränderungs-, also einen Lernprozess. Und genau darum geht es in der Pädagogik und Erziehung, auch wenn der Pädagoge damit zu einem Wegbereiter und Wegbegleiter wird und nicht zum Regelaufsteller und Regelüberwacher.